Praktikantin Christina war von Anfang an Zielscheibe herabwertender Sprüche. Als sie die Hand ihres Vorgesetzten von ihrem Oberschenkel schob, drohte er ihr. Mit solchen Erfahrungen am Arbeitsplatz ist Christina nicht allein. Wie Frauen sich gegen sexuelle Belästigung wehren können.
„Ich hatte vom ersten Tag an das Gefühl, ein Spielzeug zu sein“, sagt sie. Christina* ist Mitte Zwanzig, studiert noch und macht seit einigen Wochen ein Praktikum in einem großen Wirtschaftsunternehmen in Berlin. In dem Team, in dem sie arbeitet, ist sie die einzige Frau – und schlank und blond ist sie noch dazu.
Die Grenzen sind fließend
„Der Umgang in der Abteilung ist locker“, sagt sie. Ihr gegenüber manchmal etwa zu locker – ihr Unbehagen ist genau zu spüren. Sie erzählt von der Situation, in der sie eine Frage hatte, aber statt einer Antwort ein Lachen bekam. „Was hast Du vorher gemacht, Kaffee gekocht?“, polterte ein Kollege anstelle einer vernünftigen Antwort. Übrigens auch derselbe Kollege, der ihr, als er ihr dann doch einmal etwas erklärte, die Hand auf den Oberschenkel legte. „Er kommt mir immer einen Tick zu nah“, sagt Christina. Als sie seine Hand wegschob, schaute er sie an und sagte: „Denk daran, ich bin es, der Dein Zeugnis schreibt.“
Dies ist ein Stück, das für das Projekt „BizzMiss“ entstanden ist – ein Online-Magazin, das ich im Jahr 2014 mit drei Mitstreiterinnen gründete. BizzMiss gibt es mittlerweile nicht mehr. Hier habe ich notiert, warum das gut ist.
Von Tag eins an überlegte sie, das Praktikum abzubrechen, so zuwider war ihr die Männer-Combo in der Abteilung. In der zweiten Woche klinkte sich ihr Körper einfach aus – ein heftiger Infekt fesselte sie ans Bett, eine ganze Woche lang.
Jede dritte Frau fühlte sich schon einmal bedrängt
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kommt in vielen Formen vor. Es muss nicht gleich die Hand auf dem Oberschenkel sein, es kann auch der starrende Blick, der anzügliche Witz oder die vermeintlich zufällige Berührung sein. Dabei sind die Grenzen fließend – ob ein Spruch eine Belästigung ist, entscheidet sich bei der Frau, die ihn hört. „Es kommt auf den Empfänger der Nachricht an“, sagt auch Karin Schwendler, die bei Verdi für Frauen- und Gleichstellungspolitik zuständig ist. Eine Belästigung ist eine, bei der sich jemand belästigt fühlt, ganz einfach. Wo sich niemand belästigt fühlt, da mag auch ein anzüglicher Witz in Ordnung sein.
Nach einer Studie des Familienministeriums gibt die überwiegende Mehrheit aller Frauen an, schon einmal sexuell belästigt worden sein: Fast 60 Prozent. Und die Hälfte von ihnen hat sich dabei ernsthaft körperlich bedroht gefühlt. Bei der Arbeit – eigentlich ein Schutzraum, bei dem man von Bekannten umgeben ist – hat sich schon ein Drittel aller Frauen belästigt gefühlt. Jede dritte Frau, das ist eine schwindelerregend hohe Zahl. Und die Folgen können weitreichend sein: Ängste, Schlafstörungen, Depressionen bis hin zur Arbeitsunfähigkeit.
Minirock? Egal!
Aber welche Frauen werden Opfer? Nachdem der Infekt ausgestanden war, zwang sich Christina wieder ins Büro, und nach und nach fand sie ihren Platz in der Abteilung. „Es beruhigte sich etwas, weil ich nicht mehr ‘die Neue‘ war“, sagt sie. Ihre Erfahrung passt ins Bild: Oft werden Frauen angegriffen, die eine geringere Qualifikation aufweisen oder neu in der Firma sind. Bei Christina traf beides zu – dass sie sich auf dem Weg zu einem gleichwertigen Hochschulabschluss befand, spielte dabei offenbar keine Rolle.
Noch wichtiger ist aber das Arbeitsklima bei der Frage, ob es zu Übergriffen kommt oder nicht. Ein sexualisiertes Arbeitsklima – also eines, in dem zum Beispiel anzügliche Bemerkungen toleriert werden – befördert die Übergriffe, weil die Hemmschwelle von vorherein niedriger ist. Keine Rolle spielt übrigens die Frau: „Es ist egal, ob sie einen Minirock trägt oder nicht“, sagt Schwendler. „Es geht eher um Macht.“ Sexuell belästigendes Verhalten würdigt die Frau herab – besonders effektvoll in Konkurrenzsituationen.
Rasch und konsequent handeln
Hinzu kommt: „Es ist für Frauen schwer, sich zu wehren, weil sie den Mann ja am nächsten Tag wiedersehen“, sagt Schwendler. Und wenn es dann noch der Chef ist – umso schwieriger, immerhin ist die Frau von ihm abhängig. „Man muss ganz klare Grenzen setzen“, rät Schwendler. Es kann auch helfen, sich mit anderen Frauen zusammen zu tun, denn der Mann, der durch seine Übergriffigkeit auffällt, beschränkt sich oft nicht nur auf eine Frau. Ansprechpartner sind der Betriebsrat oder die Frauenbeauftragte. Doch auch der Arbeitgeber ist in der Pflicht: Er muss rasch und hart durchgreifen, um zu vermeiden, dass der Boden für weitere Übergriffe bereitet wird. Je konsequenter solche Übergriffe geahndet werden, umso besser für die betroffenen Frauen.
Christina beißt sich bis heute durch ihr Praktikum durch. Sie will es beenden – aber sie weiß auch: In dieses Unternehmen wird sie nach ihrem Studienabschluss nicht zurückkehren.
*Name der Redaktion bekannt