Wir tun uns manchmal schwer damit, persönliche Verantwortung in diesen Zeiten des Wandels zu übernehmen – das habe ich in den vergangenen Wochen bei zwei Debatten erfahren. Warum das problematisch ist.
In dieser Woche hatte ich ein Déjà-vu. Am Donnerstag fand die Auftaktveranstaltung der Experimentierräume von Inqa (Initiative neue Qualität der Arbeit) und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) statt, eröffnet von Björn Böhning. Ich war eingeladen worden, nach seiner Eröffnung die Keynote zu halten. Anschließend saß ich mit einigen Personen auf dem Panel: Zwei Vertreter von ausgewählten Experimentierräumen, einer hatte außerdem einen Betriebsrat mitgebracht, dazu eine Vertreterin des BMAS und eine Professorin. Ich freue mich sehr darüber, zunehmend auch in die politische Debatte vorzustoßen, denn – wie ich auch hier bereits schrieb – ist die Transformation unserer Arbeit ja doch nichts, was Einzelne stemmen können. Es ist im Kern und seinem Herzen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir gemeinsam angehen sollten, Hand in Hand: Wirtschaft, Unternehmen, Arbeitgeber, Gesellschaft, Politik.
Ich saß also auf diesem Podium und vertrat die Meinung, dass viel in den Händen der Einzelnen liegt, dass dieser Wandel eine Aufgabe, eine Herausforderung für jede von uns ist, und dass sich da ein Gestaltungsraum eröffnet, den wir nicht nur nutzen sollten, sondern den wir auch nutzen müssen – denn wenn wir nicht gestalten, tut es jemand anders.
Spontaner Applaus an einer interessanten Stelle
An dieser Stelle wurde mir von der Vertreterin des BMAS nachdrücklich widersprochen. Sie verwies auf die Verantwortung des Politik und auf den Gestaltungsauftrag des Gesetzgebers. Der Betriebsrat pflichtete ihr bei und unterstrich die Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern. An dieser Stelle gab es spontanen Applaus aus dem Publikum – sehr interessant, wie ich finde.
Und interessanterweise hatte ich eine ähnliche Erfahrung vor einigen Wochen auf einem anderen Panel gemacht. Dort saß eine Gewerkschafterin neben mir, die mir an dieser Stelle ebenfalls widersprach und auf die Arbeit der Gewerkschaften verwies.
.@ihoelt: Werte und Betriebe wandeln sich laufend – mit neuen Wegen der Information und Kommunikation, vielfältigen Perspektiven, vor allem freierem, selbstbestimmtem Arbeiten. #NewWork #Diversity #arbeitenviernull #Experimentierräume pic.twitter.com/FfS9tNZ0cU
— inqa.de (@INQAde) 29. November 2018
Ich kann das gut verstehen. Ich denke, dass es in der Natur der Sache liegt, den eigenen Wirkungsbereich zu betonen – wie die Gewerkschafterin, die auf Gewerkschaftsarbeit verweist – und in diesen Bereich vor allem auch deshalb zu agieren zu wollen, weil man dort eine Wirksamkeit erlebt.
Zudem bin ich die letzte, die einen Turbokapitalismus unter dem Deckmantel neuer Arbeit propagiert. Solidarität ist für mich ein wichtiger Wert und sie wird in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft auch immer wichtiger. Und ich bin glücklich, dass große Gestalter wie der Staat oder die Gewerkschaften ihren Auftrag angenommen haben und wir eine breite Debatte zu diesen Themen führen.
Keine Bedrohung, sondern ein Gestaltungsauftrag
Aber: Ich wundere mich doch ein bisschen über diese Selbstverantwortungsallergie der Deutschen. Wir reden noch immer vom “Normarbeitsverhältnis” und stellen es “atypischen Beschäftigungsverhältnissen” gegenüber und machen es Selbständigen und Gründerinnen schwer. Und wenn wir uns auch einig sind, dass die Verweildauern in den Unternehmen kürzer werden, so ist doch eine Festanstellung (in Vollzeit bitte sehr) der anzustrebende Zustand. Dann haben wir einen Arbeitgeber, der für uns sorgt und außerdem gibt es da ja auch noch den fürsorgenden Staat, der die wichtigen Debatten führt, Gesetze erlässt und dann wird das alles schon werden mit der Digitalisierung.
Leider springt das etwas kurz. Meiner Meinung nach werden nicht nur die Verweildauern in den Unternehmen kürzer. Wir werden in Zukunft eine zunehmende Flexibilisierung der Arbeitswelt erleben, mit immer stärker ausdifferenzierten Arbeitsverhältnissen. Vielleicht wird die Festanstellung irgendwann die Ausnahme sein und wir als Freiberuflerinnen oder Teams in Projekten oder Kollektiven arbeiten, immer wieder neu zusammengewürfelt je nach Arbeit und Auftragslage. Wir werden ganz sicher auch noch ganz andere Arbeitsverhältnisse ersinnen, denn eine neue Arbeitswelt bringt nicht nur das Home Office oder die Teilzeit mit sich, sondern viel grundlegendere Veränderungen. Wer davon ausgeht, dass wir die Festanstellung als Norm behalten werden, irrt sich über die Tiefe der Veränderungen, die auf uns zukommen. Und das meine ich nicht als Bedrohung, sondern tatsächlich als Gestaltungsauftrag.
Antwort auf äußere Komplexität kann mehr innere Komplexität sein. #newwork @ihoelt #experimentierraeume #inqa pic.twitter.com/XPOsQ1DScc
— Doreen K. (@kleppiberlin) 29. November 2018
Der Betriebsrat auf dem Panel der Experimentierräume verwies auch auf die Errungenschaften wie Tarifverträge, die Arbeitnehmer schützen. Errungenschaften, die natürlich keine einzelne selbständig arbeitende Person hätte erwirken können. Doch vor dem Hintergrund meiner Erfahrung als Freiberuflerin muss ich dazu sagen: Auch so etwas bezieht sich vor allem auf Festangestellte. Ich habe schon in Redaktionen gearbeitet, in der ich als Freie nicht einmal den Mindestlohn bekommen habe, während meine festangestellten Kollegen neben mir nach Tarif bezahlt wurden. Je mehr sich die Arbeitswelt wandelt, umso stärker müssen wir miteinbeziehen, was rechts und links der breiten deutschen Straße der Festanstellung liegt.
Ein gutes Beispiel für diese Selbstverantwortung ist doch auch das Gesetz, das das Recht auf Weiterbildungberatung ab 2019 sichern soll. Die Erkenntnis dahinter ist: Wir werden in Zukunft lebenslang lernen, es wird nicht aufhören. Von dem Konzept des “Ausgelerntsein” nach Ausbildung oder Studium müssen wir uns verabschieden – in einem Land, das stolz ist auf sein duales Ausbildungssystem. Doch solche Gesetze können ihre Wirkung nur dann entfalten, wenn jede Einzelne versteht, wie die Arbeitswelt der Zukunft aussehen wird, wie sie sich anfühlen wird – und solche Angebote dann auch annimmt und sie ganz konkret für sich nutzt. Entsprechend sieht auch eine wichtige Erkenntnis aus den Anfangsjahren meiner Selbständigkeit aus: Ich habe erkannt, dass ich mich, wenn ich mich entwickeln wollte, aus mir selbst entwickeln muss. Kein Arbeitgeber und kein Auftraggeber kann das für mich tun.
„Mehr Staat“ ist nicht die Antwort
Und das bedeutet auch: Dass wir uns nicht auf den Staat oder die Gewerkschaften verlassen, sondern sich tatsächlich jede Einzelne von uns mit wichtigen Fragen auseinandersetzt. Und diese Fragen lauten: Wie möchte ich in Zukunft arbeiten? Was kann ich dafür tun? Das sind die relevanten Fragen und die – ganz persönlich, ganz individuell – zu beantworten kann uns kein Staat und kein Gesetz abnehmen.
Wenn es also Zustimmung gibt an Stellen, die die Verantwortung und Fürsorge des Staates betonen, dann kann das ein Zeichen sein, dass sich die Menschen manchmal überfordert und ratlos fühlen. Das ist menschlich, das ist okay. Doch es zeigt dann vor allem, dass wir Mittel und Wege brauchen, diese Menschen in ihre Selbstverantwortung zu führen und sie Selbstwirksamkeit erfahren zu lassen. Ein „Mehr Staat!“ kann in einer sich digitalisierenden Welt nicht die alleinige Antwort sein.
In diesem Sinne: Auf die Selbstverantwortung!
Ergänzung: Hier habe ich mehr zu meinem Begriff der Selbstverantwortung geschrieben und was ich damit im Kontext von Neuer Arbeit meine.