Macht ist eine Eigenschaft einer Führungskraft. Sie ist nicht per se gut oder schlecht, es kommt vielmehr darauf an, wie die Führungskraft mit ihr umgeht.
An der Art und Weise, wie eine Führungskraft mit Macht umgeht, kann man ablesen, ob sie eine gute Führungskraft ist oder nicht. Es ist nicht allein die Tatsache, dass sie Macht hat, denn in einem Unternehmen ist Macht zuallererst mit der Position verbunden. Wir kennen zum Beispiel den Begriff des “disziplinarischen Vorgesetzten”. Da steckt das Wort Disziplin drin: Der Chef darf den Mitarbeiter beeinflussen, maßregeln, sein Verhalten sanktionieren, wenn er das für angemessen hält. Wer die Karriereleiter hinaufstolpert, ist irgendwann oben – aber zu einem guten Leader muss ihn dieser Weg nicht zwingend gemacht haben.
Doch was ist Macht überhaupt? Der Soziologe Max Weber bezeichnet Macht als “jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen”. Macht kann also stärker als der eigene Wille sein. Ein Vorgesetzter kann einen Mitarbeiter dazu bringen, eine Aufgabe zu erledigen, die er eigentlich gar nicht anfassen will. Doch für Weber ist das nichts Absolutes. Macht ist eine Chance, also zuerst einmal nur ein Potenzial, das realisiert werden kann, aber nicht muss. Der Soziologe Niklas Luhmann bezeichnet Macht als einen “Katalysator”: Macht kann Dinge beschleunigen oder sie verändern. Sie verändert sich dabei nicht, nutzt sich nicht ab und kann immer wieder erneut eingesetzt werden.
Es ist widersinnig, Macht zu sammeln
Damit eröffnet Macht einen Raum: Einen Gestaltungsspielraum, Dinge zu verändern und sie zu beeinflussen. Somit geht mit Macht auch große Verantwortung einher, sie kann Ideen groß machen oder sie zerschmettern. Wer Macht verliehen bekommt, muss sich dieser Verantwortung bewusst sein – denn wird sie missbraucht, kann das viel kaputt machen.
Macht ist also weniger etwas ist, was zu ihrem Besitzer gehört, sondern vielmehr von ihm ausgehend seine Wirkung entfaltet. Deshalb ist es so widersinnig, Macht um ihrer selbst willen zu sammeln und sie zu vermehren. Macht ist nichts, was man besitzt, Macht ist etwas, das Entwicklungen befördert.
Ich habe in meinem Berufsleben schon viele Chefs gehabt, die stolz auf ihre Macht waren und immer wieder die Gelegenheit genutzt haben, diese Macht zu demonstrieren. Doch das zeigt eigentlich nur eines: Wer in ein Machtgefüge gesetzt wurde, das eigentlich zu groß für ihn ist, der kann seine Macht nur erhalten, indem er sich ihr immer wieder versichert. Wer Macht gegenüber den Mitarbeitern ausübt, schlicht, weil er es kann, liefert einen untrüglichen Hinweis dafür, dass er sie fälschlich erhalten hat.
„Was tut mein Vorgesetzter mit seiner Macht?“
Macht ist etwas, das in die Hände eines echten Leaders gehört. Jemand, der sich seiner Verantwortung bewusst ist, der diese Macht nimmt und damit eine Atmosphäre erschafft, in der sich die Mitarbeiter entwickeln können. Der Ideen inspiriert und kraft seiner Macht einen Schutzraum schafft, in dem sie unbeschadet sprießen können.
Macht nicht etwas Gutes oder Schlechtes per se; schlecht ist sie nur dann, wenn sie falsch angewandt wird – und die Art und Weise mit ihr umzugehen, ist eine ziemlich sichere Methode einen Chef von einer echten Führungskraft zu unterscheiden. Ich stelle mir immer die Fragen: Was tut mein Vorgesetzter mit seiner Macht? Welchen Gestaltungsspielraum eröffnet er aktiv und was passiert darin? Und vor allem: Was kommt am Ende dabei heraus? Wenn das gute Dinge sind, deutet das darauf hin, dass wir hier einen Leader vor der Nase haben.
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