Es gibt ein neues Heft aus dem Süddeutschen Verlag: „Plan W“ heißt es und es soll in Zukunft vierteljährlich erscheinen. Am Wochenende kam die erste Ausgabe – und ich habe sie gleich gelesen.
Ich bin mit Zeitungen aufgewachsen. Bei uns zu Hause lag immer die lokale Zeitung herum, am Wochenende versteckte mein Vater sich immer dahinter. Ich weiß auch noch ziemlich genau, wann ich das erste Mal selbst eine Zeitung gekauft habe: Das war Ende der 90er Jahre. Ich habe noch bei meinen Eltern gewohnt. Ich ging in den Zeitschriftenladen und erbat eine Süddeutsche Zeitung. „Na, wir orientieren uns nach München?“, fragte die Verkäuferin mich, als ich die SZ bezahlte. Ich blickte sie kurz etwas verständnislos an. Ehrlich gesagt habe ich damals die SZ nie gelesen, das kam erst später. Ich habe mich nur für das Magazin „jetzt“ interessiert, das immer montags beilag.
„Weiblichkeit, Wirtschaft, Wachstum“
Mittlerweile lese ich fast alles online, zumindest tagesaktuelles. Aber jetzt hat die SZ mich dazu gebracht, mal wieder eine Ausgabe zu kaufen: Am Samstag lag das Heft „Plan W“ bei.
„Weiblichkeit, Wirtschaft, Wachstum: […] Mit dem Claim ‚Frauen verändern Wirtschaft‘ soll das Magazin Lust auf Gestaltung, Erfolg, Innovation und Lernen machen“ heißt es in der Selbstbeschreibung. Natürlich interessiert mich das brennend!
Allerdings gibt mir das Cover Rätsel auf: Ein blauer Schmetterling, dessen Körper ein Füllfederhalter ist, darunter in großen Lettern: „Die neue Signatur der Macht“. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was mir das sagen soll. Frauen so zart, dass man sie nicht berühren darf, flattern nach oben? Und dann? Dann flattern sie planlos weiter? Schmetterlinge sind schön anzuschauen, sie schaukeln durch die Luft, mal hierhin und mal dorthin, zerbrechlich, fragil. Ob das die richtige Metapher für die Erstausgabe von Plan W ist, die sich mit Macht beschäftigt? Ich weiß ja nicht.
Keine der Geschichten zieht direkt ins Heft
Als ich das Heft aufschlage, bin ich erst einmal etwas enttäuscht. Beim Layout ist echt noch Luft nach oben: Graues Papier, dumpfe Farben und teilweise ziemlich bleiwüstig – ich hätte mich gefreut, wenn das Magazin etwas luftiger und moderner dahergekommen wäre. Keine der Geschichten zieht mich optisch direkt hinein, das Heft bleibt tatsächlich erst einmal einige Stunden liegen, bis ich die Zeit finde, mich „an die Arbeit“ zu machen, denn so fühlt es sich an.
Doch als ich mich ihm endlich widme, bin ich angenehm überrascht. Zwar schreiben hauptsächlich Frauen; der einzige Mann, der einen längeren Text für Plan W verfasst hat, beginnt seinen Text mit „Achtung, hier schreibt ein Mann“ – schade eigentlich. Aber ich mag die Texte.
Herzstück des Heftes ist meiner Meinung nach das Porträt von Angela Merkel. Es gelingt der Autorin, trotz der Porträtform nah am Oberthema zu bleiben: Wie hat Merkel sich nach oben gekämpft? Wie wichtig sind ihr Machtdemonstrationen? Was macht sie anders als Helmut Kohl und Gerhard Schröder? Evelyn Roll zeichnet das Bild einer sympathischen, unprätentiösen Bundeskanzlerin, und vielleicht das einzige, was mich stört, ist, dass sie ein wenig zu unkritisch ist.
Stereotype im Arbeitsleben bremsen vor allem Frauen
Carsten Matthäus schreibt über Stereotype und Klischees im Arbeitsleben, die vor allem Frauen ausbremsen: Schon Mädchen werden früher angeleitet, im Haushalt zu helfen als ihre Brüder, später im Beruf gelten Männer als durchsetzungsstark, Frauen als zickig – alles nicht unbedingt brennend neu. Er unterfüttert das aber mit interessanten Zahlen: 62 Prozent der Frauen mit Kindern werden aus einer Bewerberrunde gestrichen, aber nur zwölf Prozent der arbeitswilligen Väter. Oder mit interessanten Studien, nach denen so mancher Mann noch nicht einmal weiß, dass man Wäsche sortieren sollte, geschweige denn, auf welche Weise. Matthäus schneidet vieles an, sein Text ist ein – zugegeben interessanter – Bauchladen, in dem viele weitere interessante Themen drin stecken, die er leider nur streifen kann.
Leider fehlt auch der unvermeidliche Text zu weiblicher Kleidung im Beruf nicht. Sind Röcke okay? Wie kurz dürfen sie sein? Sind Pumps okay? Wie hoch dürfen sie sein? Nun ja. Glücklicherweise hat die Redaktion das Format einer Kolumne gewählt, Tanja Rest rettet das dadurch. Am interessantesten fand ich dabei ihre Aussage, dass gutes Aussehen in Deutschland so schnell unseriös wirkt. Wäre das nicht das eigentliche Kolumnenthema gewesen: Warum darf ich im Job nicht anziehen, was ich will? Und warum ist es eigentlich mein Problem, wenn mich eventuell ein Kollege als zu sexy empfindet? Und wird dieser Kollege mich wesentlich weniger sexy finden, wenn mein Rock zweieinhalb Zentimeter länger ist?
Ich frage mich ja mittlerweile, ob es nicht auch ein Machtinstrument ist, Frauen sexy zu finden: Sie können sich nicht dagegen wehren und kommen aus der Ecke auch nicht so einfach wieder heraus. Eine sexy Frau kann man begehren – aber sich von ihr führen lassen?
Warum sind Merkels Sakkos so ein Politikum?
Es ist an der Zeit für ein Heft wie Plan W. Ich hätte sogar Lust gehabt, noch mehr zu lesen. Mit etwas mehr Platz hätte man zum Beispiel auch den Text von Carsten Matthäus in mundgerechtere Happen zerlegen können. Mir gefällt auch die Herangehensweise an die Themen. Sehr erhellend ist zum Beispiel auch das Interview mit Ursula Schütze-Kreilkamp von der Deutschen Bahn. Eine spannende Frau, die wirklich etwas zu sagen hat.
Was mir aber ein wenig fehlt, ist ein bisschen über den Tellerrand denken bei der Themenwahl: Lasst doch das nächste Mal den Text über Outfits weg. Und stattdessen: Wie sexistisch Frauen gegenüber Frauen sind. Ein Interview mit den ZDF-Oberen, warum der 7. Mann in Folge ARD-aktuell leitet. Warum der Personaler die Bewerbung der Mutter eigentlich beiseite legt. Welche modernen Arbeitsmodelle wir brauchen über Teilzeit und Kinderbetreuung hinaus. Warum Merkels Sakkos so ein Politikum sind.
Plan W soll von nun an vierteljährlich erscheinen. Ich freue mich drauf. Und ich bin gespannt darauf, was die Redaktion in Zukunft daraus macht – der Auftakt jedenfalls ist durchaus gelungen.
Fußnote: Direkt auf Seite sieben hat Evonik eine Anzeige geschaltet. Da geht es um Nachhaltigkeit (was genau da verkauft werden soll, wird mir leider nicht klar) und beworben wird das mit der frauenfeindlichen Geschichte des Sündenfalls von Adam und Eva. Ja genau, die Geschichte, in der eine Frau nicht gehorsam ist und damit die ganze Welt ins Unglück stürzt. Ob das in einem Heft wie Plan W wirklich angemessen ist, darüber kann man sicher vortrefflich streiten – ich bin der Meinung: Nein. (Fußnote 2: Eigentlich würde ich gern in einer Welt leben, in der es solche Werbung gar nicht mehr gibt)
Liebe Inga,
besonders dein Schluss-PS hat es mir ja angetan.
was in das Titel-Bild hineininterpretiert wird, ist ja immer persönliche Sache – denn selbst wenn ich beispielsweise vor allem die farbgebung: NICHT PINK! begrüße und BLAU tatsächlich als Business-farbe empfinde, kann das für andere natürlich auch wie beim Schmetterling flatterhaft? empfindlich? wirken – den Schmetterling finde ich persönlich, die ich mich beim Vorzeitig-Einschulungs-Test vor xx Jahren selber als Scmetterling zeichnete, eher als ein schönes, ästhetisches und freies Tier, das dem leben die schönen seiten abgewinnt und sich vom trivialen lösen kann – und vielleicht dadurch die Welt eben ein bisschen fröhlicher macht – sogar das Arbeitsleben ;).
Aber ebenso, wie es zwar immer mit der eigenen Sozialisation zu tun hat, wenn ein Tim Hunt aufgrund seiner „one-gender-Schulzeit“ bei Witzen in einem Vortrag geschlechterfeindliches sagt – es ist doch immer auch ein Funke haltung drin – die Stereotypen sind ja nicht umsonst so mächtig.
Insofern: ich würde mir auch wünschen, in einer Welt zu leben, in der solche „Sonder“-Hefte obsolet sind, weil Männer und Frauen endlich voneinamder lernen und einander respektieren und nicht alles nur von ihrem Blickwinkel aus sehen.
Mein liebstes beispiels sind da TED (ob mit oder ohne x) Veranstaltungen, bei denen ganz selbstverständlich und ohne es besonders herauszukehren, die verteilung der geschlechter auf dern Bühnen ausgewogen ist und hervorragende Wissenschaftlerinnen, Business-Frauen und Forscherinnen gleichberechtigt neben Männern ihre mitreißenden Vorträge halten.
DAS müsste normal werden.
Danke für deine Zusammenfassung des Supplements – und ja: das sind immer die besonderen Momente, warum man eine Zeitung aus Papier heute noch kauft…
Gelungener Artikel! Habe mich doch glatt dabei ertappt, Lust bekommen zu haben, in die nächste Ausgabe von “Plan W“ auch mal hineinzustöbern.
Je länger ich über das Cover der Ausgabe nachdenke, desto brillanter gewählt finde ich es. Für mich hat das Bild des Schmetterlings vor allem zwei Bedeutungen:
Zum Einen assoziiere ich mit ihm spontan auch Attribute wie Schönheit, Zerbrechlichkeit und Anmut. Wenn ich diese Attribute auf die, von Dir aufgemachte, “Machtfrage“ beziehe, sind es Facetten, die “der Mann“ oftmals vergisst, wenn er mit Macht umgeht. “Mann“ scheint zu diesen Facetten der Macht nur schwer Zugang zu bekommen. Und vielleicht sind es genau diese Facetten der Macht, die “Frau“ (neu) entdeckt. So etwas wie der weibliche Aspekt der Macht vielleicht. Und vielleicht sind es genau diese Facetten / Aspekte der Macht, die es zu entdecken notwendig ist, damit Macht ihren kontrollierenden, manipulierenden und wetteifernden Charakter verlieren kann.
In den spirituellen Traditionen steht der Schmetterling oft für Wandlung, Metamorphose oder auch Transformation. Das Ego – oftmals als Falsches Selbst des Menschen bezeichnet – muss sterben, damit das „Wahre Selbst“ geboren werden kann. So auch der Schmetterling. Dieser ist zunächst eine Raupe. Diese begibt sich, wenn die Zeit dafür reif ist, in ihr Grab (Kokon), um zu sterben. Nur dadurch, dass sie stirbt, kann etwas viel Schöneres, nämlich der Schmetterling, neu geboren werden.
Wenn ich diese beiden Bilder zusammennehme, dann zeigt es mir, dass das alte Bild der Macht – das überwiegend von Männern definiert worden ist – sterben muss. Dies, damit ein neues Bild der Macht – das von Frauen mitdefiniert wird – geboren werden kann. Damit Macht nicht als etwas Herrschendes, sondern als etwas Dienendes verstanden wird.
Es geht darum, einen neuen Begriff von Macht zu definieren. Nicht einfach nur die Frau zur Hälfte mit in Macht hineinzunehmen. Damit könnten ganz neue Werte in unserem Wirtschaftssystem, unserer Führungskultur und unserer Arbeitswelt entstehen. Es geht nicht einfach nur darum, dass Frauen gleichberechtigt die ganze Scheiße mitverzapfen dürfen, die bisher nur Männer verzapft haben.