Diversity hat viele Facetten: Wahrscheinlich ist etwa ein Fünftel aller Menschen hochsensibel. Sie stehen im Job vor besonderen Herausforderungen. Der Coach Lore Sülwald – selbst hochsensibel – erklärt, wie man Hochsensible erkennt und wie man sie am Besten führt.
Lore, was ist Hochsensibilität genau?
Die Forschung zu Hochsensibilität steckt noch in den Kinderschuhen, den Begriff gibt es erst seit den 90er-Jahren. In der Forschung spricht man von „Sensitivität für sensorische Verarbeitungsprozesse“* als Persönlichkeitsmerkmal. Es scheint so zu sein, dass das Gehirn anders konstituiert ist und Reize anders verarbeitet werden. Hochsensible Menschen nehmen viel mehr Reize wahr, nehmen sie viel intensiver wahr, aber sie brauchen deshalb auch mehr Zeit um sie zu verarbeiten. Sehen kann man das im Kernspintomographen: Bei Hochsensiblen werden viel mehr Gehirnregionen aktiviert als bei normal-sensiblen Menschen. Man schätzt, dass etwa 15 bis 20 Prozent aller Menschen hochsensibel sind.
Du bist selbst auch hochsensibel. Wann hast Du das gemerkt?
Ich hatte immer das Gefühl, dass ich irgendwie anders bin. Mir ist dann irgendwann das Buch „zart besaitet“ von Georg Parlow empfohlen worden. Darin wird die Vielfalt der Hochsensibilität beschrieben und wie sie sich zeigen kann. Das zu lesen war eine regelrechte Offenbarung für mich.
Das Buch kann man hier bestellen: Zart besaitet: Selbstverständnis, Selbstachtung und Selbsthilfe für hochsensible Menschen
Du coachst vornehmlich Hochsensible. Was sind die Probleme, die sie im Job haben?
Hochsensibilität ist keine Krankheit, kein Defizit, wird aber im Umfeld oftmals so wahrgenommen. Hochsensibilität wird im Beruf oft mit Leistungsschwäche assoziiert. Tatsächlich kann es für eine hochsensible Person zum Beispiel sehr schwer sein, in einem Großraumbüro zu arbeiten. Die Geräusche, Licht, Gerüche – all das kann ihre Konzentration stark einschränken. Hochsensiblen wird dann oft gesagt „Stell Dich nicht so an!“ oder „Nimm Dir doch nicht immer alles so zu Herzen“. Es kann auch für die Kollegen schwierig sein, mit einer Person im Team zu arbeiten, die Probleme schon erkennt, bevor andere das tun. Manche Führungskräfte wollen sich vielleicht in dem Moment noch gar nicht damit auseinandersetzen.
Probleme früher als andere erkennen – ist das ein Vorteil von Hochsensibilität im Job?
Ja, auf jeden Fall. Hochsensible sind oft sehr analytisch, haben ein Gespür für Strömungen und Entwicklungen im Team und sehen Zusammenhänge, die andere nicht sehen. Viele erfolgreiche Geschäftsleute sind hochsensibel, weil sie dadurch Trends frühzeitig erkennen.
Du hast gesagt, dass etwa jeder Fünfte hochsensibel ist. Das heißt ja, dass es in jedem Büro Hochsensible gibt. Wie erkenne ich sie als Führungskraft?
Von außen betrachtet haben Hochsensible eine manchmal etwas chaotische Arbeitsweise. Das kommt daher, dass sie alles erst einmal von allen Seiten betrachten. Meistens handelt es sich bei Hochsensiblen um Menschen, die erst analysieren und denken, Zusammenhänge verstehen wollen, bevor sie handeln. Die Person kann, muss aber nicht unbedingt, dünnhäutig wirken, es kann auch sein, dass sie sehr stark und aktiv wirkt. Wenn sich das Teammitglied regelmäßig für die anderen aus unerklärlichen Gründen von Reizen gestört fühlt, sehr hektisch reagiert, vielleicht auch aufbrausend oder besonders schüchtern agiert, kann das ein Zeichen für Hochsensibilität sein. Besonders kreative Mitarbeiter, die mehrere Themen gleichzeitig behandeln, zu Gedankensprüngen neigen und sich „zu“ viele Gedanken machen, können hochsensibel sein.
Wie kann ich eine hochsensible Person richtig führen?
Eine gute Führungskraft sollte mit seinen Mitarbeitern sprechen und sie beobachten. Hochsensible sind oft im Konflikt mit sich selbst: Kann ich mich auf meine Intuition verlassen, auch wenn ich keinen rationalen Grund dafür habe? Wenn sie das zulassen können, sind sie sehr erfolgreich. Man sollte ihnen nicht mit der Haltung begegnen, dass sie eben zu empfindlich sind oder sie als Störfaktor im Team ansehen. Stattdessen sollte man ihnen den Raum geben, den sie brauchen, auch Rückzugsräume, in denen sie runterkommen und ihre Eindrücke verarbeiten können. Außerdem ist Akzeptanz enorm wichtig. Denn es kann der hochsensiblen Person viel Kraft kosten, wenn sie zum Beispiel immer so tun muss, als würde sie sich im Großraumbüro nicht gestört fühlen.
* auch „High Sensory-Processing-Sensitivity“ oder SPS
Lore Sülwald bietet in Berlin unter „Coaching Baum“ Life- und Business-Coaching an. Ihr Schwerpunkt liegt dabei in der Arbeit mit hochsensiblen Menschen. Seit fast 10 Jahren beschäftigt Sie sich bereits mit diesem Thema. Während eines Coaching-Prozesses wurde sie auf die Unterschiede in der Arbeit mit hochsensiblen Menschen aufmerksam, seitdem coacht, schreibt und redet sie zu diesem Thema.
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