Susanne Dorendorff ist eine der wenigen Expertinnen für Handschrift in Deutschland. Im Interview spricht sie über die Bedeutung der Handschrift im Berufsleben – und warum besonders die Unterschrift so wichtig ist.
Frau Dorendorff, warum ist die Handschrift eines Menschen so wichtig?
Die Handschrift ist die „Lebensspur“ eines Menschen, egal, in welcher Sprache oder Schrift er schreibt: Es ist sein einziges bleibendes Ausdrucksergebnis. Der Augenausdruck, die Mimik – das ist alles flüchtig. Handschrift bleibt. Dabei ist die Handschrift der Gegenspieler der Kalligraphie, der Schönschrift: Es geht bei der Handschrift nicht um schönes Schreiben, sondern die Handschrift ist authentisch und spontan.
Wie ist es denn um das Schreiben in Deutschland bestellt?
In Deutschland haben wir überhaupt keine richtige Schreibkultur mehr. Das fängt schon in der Schule an: Die Schreibgeräte für Kinder sind schlecht, bildungspolitisch wird die Handschrift und auch die Rechtschreibung immer weiter aus den Schulen verdrängt. Mein Job ist, die Handschriftenkultur wieder zu beleben, so sehe ich das. In Japan zum Beispiel ist das ganz anders. Die Menschen dort wissen, wie wichtig die Handschrift ist. Dort gehört sie ganz selbstverständlich zur Persönlichkeit, wie die Stimme.
Dies ist ein Stück, das für das Projekt „BizzMiss“ entstanden ist – ein Online-Magazin, das ich im Jahr 2014 mit drei Mitstreiterinnen gründete. BizzMiss gibt es mittlerweile nicht mehr. Hier habe ich notiert, warum das gut ist.
Gibt es Unterschiede, wie Frauen und Männer schreiben?
Ganz eindeutig! Ich arbeite zu 98 Prozent mit Männern. Schon in der Schule, als Jungen, werden die nicht richtig unterrichtet. Die Mädchen werden gelobt, die Jungen diskriminiert: „Du hast aber eine Sauklaue!“, wird ihnen dann gesagt, oder so Sachen wie: „Und für dieses Geschmiere ist ein Baum gestorben!“. Das prägt natürlich. Mädchen gehen ans Schreiben auch ganz anders ran, die halten schon den Stift ganz anders. Und im Beruf müssen diese Männer dann plötzlich öffentlich schreiben – auf dem Flipchart im Meeting zum Beispiel – und ich nehme ihnen die Angst davor.
Warum sind denn Handschrift und Unterschrift heute noch wichtig im Beruf?
Ein Geschäftsführer, der ganz mickrig unterschreibt, der kann keine große Leuchte sein, so empfinden wir das. Wie gesagt, es kommt nicht darauf an, dass die Schrift schön ist – aber markant muss sie sein. Stellen Sie sich vor, Sie kennen diesen Menschen gar nicht und dann haben sie seine Bewerbung vor der Nase – und dann ist da unten so eine mickrige Unterschrift, da hat man als Betrachter doch sofort einen bestimmten Eindruck von dieser Person.
Das klingt fast schon nach Graphologie.
Aus der Schrift allein kann man nichts sicher ablesen, das ist Kaffeesatzleserei. Es geht hier eher um Intuitionen: Wie wirkt das Geschriebene?
Wie ist das in anderen Ländern?
Gerade durch die Globalisierung wird die Handschrift immer wichtiger. Geschäftsleute aus Japan oder aus dem Nahen Osten, die sehen sofort, ob ihr deutsches Gegenüber unsicher ist, und zwar schon in dem Moment, wo es zum Stift greift.
Was bringen Sie den Männern bei, die zu Ihnen kommen?
Männer haben keine schlechtere Handschrift als Frauen. Sie haben nur ihre eigene Handschrift, ihren Ausdruck noch nicht entdeckt. Die sind ein stückweit hilflos, was ihre Handschrift angeht. Und ich ermutige sie und leite sie an. Die Unterschrift ist doch das schönste Wort im Leben eines Menschen, und auch sein allerwichtigstes!
Was macht denn eine gute Unterschrift aus?
Zuallererst muss sie lesbar sein. Allerdings: Zu nah dran an der Handschrift darf sie auch nicht sein, das wirkt ängstlich. Es gibt Unterschriften, die der Schreibende dann gleich wieder durchstreicht – das ist reines Getue und sagt überhaupt nichts aus. Unterstreichen ist auch nicht gut. Im Moment gibt es auch so eine Marotte, einen Punkt hinter der Unterschrift zu machen, ich hoffe, das geht bald wieder vorbei. Wichtig ist, dass der Schriftzug keine großen Über- und Unterlängen hat, sondern in sich harmonisch wirkt. Eine Unterschrift sollte raumgreifend sein, die Person präsentiert sich ja dadurch. Das ist besonders schwierig bei kurzen Namen. Und Frauen sollten gerade im geschäftlichen Umfeld aufpassen, dass ihre Feder nicht zu dünn ist, das wirkt sonst schnell fiepsig.
Wenn ich nun schon jahrzehntelang auf eine bestimmte Art und Weise geschrieben habe, kann ich mich da überhaupt noch umgewöhnen?
Ja, das geht. Das funktioniert aber nur über Erkenntnis – man muss das wirklich wollen und seine Schrift „entdecken“. Frauen wollen meistens eine schönere Schrift haben, bei Männern ist es eher so, dass sie ihre Handschrift als ein berufliches Defizit empfinden. Und sie werden dann alles tun, um das zu ändern. Ich erschließe ihnen die Freude am Schreiben.
Frau Dorendorff, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Susanne Dorendorff ist Philographin, Autorin und Gründerin des Handschrift-Instituts. Sie erforscht und beherrscht die wissenschaftlichen Aspekte der Handschrift. Sie berät Schreibgerätehersteller und engagiert sich für interkulturelle Handschriftkultur; dass die Unterschrift (wie in Japan) „als Gütesiegel der Persönlichkeit“ auf Führungsebene höchstes Ansehen genießt, gehört dazu. Aktuell ist Dorendorff als Referentin für Handschriftkultur in Deutschland unterwegs.
Frau Dorendorff sagt viel Vernünftiges, zweifellos. Und dass sie sich für die Handschrift einsetzt, ist vorbildlich. Aber wenn sie die Graphologie kurzerhand zur „Kaffeesatzleserei“ erklärt, erweist sie sich leider als vorurteilsbehaftet, da ignorant – auf diesem Feld.
A. F.